Thursday, 28th March 2024
28 März 2024

„Licht könnte den Menschen mehr Informationen über Tonhöhen zurückgeben“

Der Neurowissenschaftler Tobias Moser will Gehörlosen helfen, Sprache und Musik besser wahrzunehmen. Dafür schleust er „Lichtschalter“ ins Ohr. Ein Interview.

Hörbild. Im Innenohr (hier das der Maus) sind die Sinneszellen wie auf einer Wendeltreppe angeordnet – hohe Töne werden unten,…

Herr Moser, schon heute wird stark schwerhörigen oder völlig gehörlosen Menschen mit Prothesen geholfen, die in die Hörschnecke eingeführt werden. Diese Cochlea-Implantate funktionieren mit elektrischem Strom. Warum wollen Sie es nun stattdessen mit Licht versuchen?

Die Cochlea-Implantate, die es heute gibt, sind ganz hervorragende Prothesen. Rund 700.000 Menschen weltweit verstehen damit gesprochene Sprache. Das gelingt am besten, wenn zwei Menschen sich in einer ruhigen Umgebung gegenüber sitzen, aber auch am Telefon. Diese Implantate wandeln Schall in elektrische Signale um und stimulieren den Hörnerv direkt – unter Umgehung der geschädigten oder verlorenen Haarzellen. Ein bis zwei Dutzend Elektroden geben dabei in der Hörschnecke des Innenohrs Strom ab, um Nervenzellen zu stimulieren. Die Implantate haben aber ein Problem, das wir nicht überwinden können: Es ist schwer, mit ihnen bei Störgeräuschen Sprache zu verstehen, und es ist kaum möglich, Melodien gut zu verfolgen. Das ist auch leicht nachzuvollziehen: Denn vergleicht man die Hörschnecke mit einer Wendeltreppe, dann wird dabei ein ganzes Stockwerk auf einmal angeschaltet, es ist kaum möglich, einzelne Treppenstufen zu berühren. Doch jede dieser Stufen entspricht einer Tonhöhe, über die das Gehirn informiert wird. Bis zu 2000 Tonhöhen kann das gesunde Ohr unterscheiden. Darauf zu verzichten ist vor allem für Menschen schwer, die vorher gern Musik gehört haben. Dieses Problem möchten wir überwinden, indem wir Licht statt Strom einsetzen.

Worin liegt der Vorteil von Licht?
Man kann es besser bündeln als Strom. Den Hörnerv optisch anzuregen, würde deshalb wesentlich mehr separate Stimulationskanäle ermöglichen und könnte diesen Flaschenhals der gegenwärtigen Implantate überwinden. Es könnte den Menschen mehr Informationen über Tonhöhen zurückgeben.

Reagieren Hörsinneszellen denn auf Licht?
Genau das ist das Problem, dafür sind sie nicht eingerichtet. Kollegen haben deshalb zunächst versucht, mit Infrarot-Licht Nervenzellen direkt zu reizen, doch dieses Konzept wird kontrovers diskutiert. Wir haben das Hören mit Licht also nicht erfunden. Um die Jahrtausendwende wurde aber klar, dass es möglich ist, anderen Organismen lichtgesteuerte Ionenkanäle zu entnehmen, um mit ihnen Hörnervenzellen lichtempfindlich zu machen. Solche „Lichtschalter“ zu entwickeln, wurde durch die Optogenetik möglich, eine neue Technik, die die Neurowissenschaften stark bereichert.

Der Mediziner und Neurowissenschaftler Tobias Moser (51) leitet seit 2015 das Institut für Auditorische Neurowissenschaften der…

Solche Lichtschalter haben Sie vergangenes Jahr in die Hörnervenfasern von ausgewachsenen Mäusen eingebaut, sodass Sie den Hörnerv mit Licht und das Gehör der Mäuse stimulieren konnten. Die Proteine wurden dabei per Injektion ins Innenohr über „Taxis“ aus Virusbestandteilen eingeschleust. Ist das nicht riskant?
Sicherheit ist ein wichtiger Punkt: Im Vergleich zum jetzigen elektrischen Cochlea-Implantat ist unser Ansatz deutlich komplexer. Es ist ja eine Kombination aus Gentherapie und einem veränderten Cochlea-Implantat. Uns ist sehr bewusst, dass der Zulassungsprozess für ein solches Kombinationsprodukt aufwendig sein wird. Aber wir gehen davon aus, dass der Nutzen sehr groß ist. Weil wir virale Genfähren benutzen möchten, schauen wir aufmerksam auf andere Forschungsansätze zur Gentherapie. So hat ein Medikament zur einmaligen Injektion, mit dem defekte Gene im Auge ersetzt werden, unter dem Handelsnamen „Luxturna“ vor Kurzem eine Zulassung erhalten, eine erste klinische Studie zur Gentherapie im Ohr läuft noch.

Wann rechnen Sie mit einer Anwendung Ihres Ansatzes beim Menschen?
Darauf kann ich nur eine vorsichtige Antwort geben: Ich möchte keine falschen Hoffnungen wecken. Bislang haben wir ja überwiegend mit Nagetieren gearbeitet. Jetzt ist es wichtig, auch Experimente mit Versuchstieren zu machen, die uns näherstehen. Hier sind Weißbüschelaffen ein gutes Modell. Wir müssen zuerst bei nichtmenschlichen Primaten einen Mehrwert sehen, ehe wir die Methode beim Menschen einsetzen können. Ich hoffe, dass wir in der zweiten Hälfte der 20er Jahre ein Produkt haben werden. Inzwischen gibt es eine ausgegründete Firma, wir sind auf der Suche nach Investoren. Doch wir müssen einen langen Atem haben: Die Regularien sind streng. Die Technik schnell und ohne ausreichende Sicherheit umzusetzen, nützt niemandem.

Für wen könnte das „Hören mit Licht“ in Zukunft geeignet sein?
Das Potenzial dafür ist da: Uns kontaktieren schon heute Menschen mit hohem Anspruch an ihr Gehör. Etwa Musiker, die ihr Gehör verloren haben, oder Menschen, die viel in Konferenzen sind und mit den Störgeräuschen zu kämpfen haben. Wenn das Implantat bei diesen Erwachsenen den erwarteten Nutzen hat, sollte es breiter verfügbar sein: Wie immer bei Verbesserungen möchte man es natürlich am liebsten allen Menschen zugänglich machen.

Wie sind Sie auf die Idee des „Lichthörens“ gekommen?
Neben der Neugier auf Ansätze aus den Neurowissenschaften treibt mich auch die klinische Erfahrung als Hals-Nasen-Ohren-Arzt an: Innovative Gentherapien helfen nur wenigen Menschen mit bestimmten Gendefekten, die große Gruppe der Menschen, die ein Cochlea-Implantat brauchen, verdient entsprechende Aufmerksamkeit. Dazu kam der glückliche Umstand, dass wir aufgrund einer Initiative der Bundesregierung zugunsten der Neurotechnologie zum richtigen Zeitpunkt eine Anschubfinanzierung für unser Projekt bekamen.

Wäre die neue Art der Impuls-Übermittlung mit Licht auch geeignet, um Menschen mit Seh-Problemen zu helfen, die ebenfalls auf den Verlust von Sinneszellen zurückzuführen sind?
Ja, das liegt nahe, und es laufen derzeit erste klinische Studien bei Patienten mit erblichen Netzhauterkrankungen. Man braucht dazu verfügbare Nervenzellen, die man mit solchen Lichtschaltern ausstatten kann. Es gibt allerdings ein Problem: Die Lichtempfindlichkeit, die man auf diese Art einbringt, ist nicht so hoch wie beim natürlichen Sehen. Um mit einem solchen Lichtschalter, der aus der Grünalge gewonnen wurde, sehen zu können, wären extrem gute Lichtverhältnisse nötig. Man versucht das Licht deshalb mit zusätzlichen Techniken zu verstärken.

Tobias Moser wird am Dienstag, 21. Mai, 14 Uhr, seine Forschungen in einem Vortrag auf dem „Hauptstadtkongress Medizin und Gesundheit“ im CityCube Berlin vorstellen.

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